Ellie, Are You Okay? Are You Okay, Ellie

Montag, August 03, 2020

Erwachsenwerden mit Ellie - Durch ein dystopisches Nordamerika in The Last of Us Part II 


The Last of Us II - Ein Portrait

Eine meiner ältesten und gleichzeitig schönsten Erinnerungen sind die Abende, an denen ich mit meinen Eltern alte Filme anschauen durfte. Eingehüllt in mehrere Decken, als würde jeder Film besser, je höher die Körpertemperatur anstieg, wünschte ich mir zumeist einen heißen Kakao und den Butterkuchen meiner Oma, um mein Samstag-Abend-Highlight perfekt zu machen. Viele Decken hatten darüber hinaus auch noch andere Vorteile. Etwa, sich bei Bedarf an besonders spannenden oder grausamen Stellen mit nur einer kurzen Bewegung in seine eigene, sichere Höhle aus Daunen, Dunkelheit und Wohlbehagen zurückziehen zu können.

Damals, das ist erst 20 Jahre her, lieh man sich noch VHS-Kassetten in Videotheken. Das war unser Samstags-Ritual: Mein Vater fuhr am frühen Samstagabend los und brachte Pizza von unserer Lieblingspizzeria und zwei Filme mit. Einen „richtigen“ Film und einen für Kinder, den ich am folgenden Sonntagnachmittag gucken durfte. Jedenfalls wenn ich vorweisen konnte, alle Hausaufgaben erledigt zu haben und das Wetter schlecht war. Das waren meistens Filme wie Asterix & Obelix oder Tim & Struppi. Da stets mein Vater mit der Auswahl betraut war, fanden klassische Mädchenfilme kaum den Weg in mein cineastisches Portfolio. Ich habe ihn nie gefragt, ob das zufällig geschah oder ob es ihm vielleicht lieber war, sonntags aus dem Wohnzimmer ein beherztes „Hunderttausend Höllenhunde“ zu hören, als eine Horde Mädchen, die den Cuteness-Level ihrer Mitschüler berechneten.

Sonntags sah ich den Film meist mit Freunden, manchmal alleine. Da gab es dann auch Kakao und Kuchen, aber es war längst nicht so schön wie die Samstage, an denen ich „echte“ Filme gucken durfte und bis in die Puppen aufbleiben. Wenn man neun Jahre alt ist, gilt 22:00 Uhr schon als eine ziemlich verwegene Zeit, um noch Agentenfilme zu gucken. Ich fühlte mich sehr erwachsen und kannte kaum Spannenderes, als James Bond, Indiana Jones oder Star Wars zu sehen, aber auch Klassiker wie Wall Street, Top Gun, Der Clou oder Dr. Schiwago, den Lieblingsfilm meiner Mutter. Den hatte sie angeblich als Teenager zwölf Mal im Kino gesehen und dabei der deutsche Taschentuch-Industrie zu neuen Umsatzrekorden verholfen.

 

Games – Blockbuster zum Mitspielen

Mit neun oder zehn Jahren war ich keine Feministin, aber sogar mir fiel auf, wie Frauen in diesen Filmen zumeist in erster Linie dafür da waren, extrem gut und sexy auszusehen und zu zeigen, dass die männlichen Hauptdarsteller nicht nur die Welt retteten, sondern auch zahlreiche Herzen der schönsten Frauen brechen würden. Ich dachte damals nicht viel darüber nach, merke aber, dass ich Filme noch heute manchmal durch die Augen meines 10-jährigen Ichs sehe und den „wie tragend für die Dramaturgie ist die Rolle der Hauptdarstellerin“-Faktor berechne. Oft denke ich dann an diese zahllosen Samstage meiner Kindheit zurück, als wären sie ein Kleinod der Erinnerungen an eine nie wieder so bedingungslos erlebte Sorglosigkeit. Wenn ich jetzt, als Erwachsene, mal ein Wochenende bei meinen Eltern verbringe, versuche ich oft, diese Tradition wiederzubeleben. Wir schauen immer noch gerne Filme, auch wenn die Pizza in der Pizzeria nach mehreren Inhaberwechseln nicht mehr schmeckt und in der Videothek von damals längst ein Discounter sein 15-jähriges Jubiläum gefeiert hat.

 

Heute schauen wir andere Filme. 20 Jahre nach der filmischen Grundausbildung durch meine Eltern habe ich den Spieß umgedreht und zeige ihnen Klassiker meiner Generation. Mit unterschiedlichem Erfolg. Eine Tendenz, die zumindest ich in den späten 90er-Jahren noch nicht kommen sah, ist die immer enger werdende Verknüpfung virtueller Konsolenspiele und dem Genre Film an sich. Als mein älterer Bruder seine erste PlayStation bekam, wurden aus Strichmännchen in PC-Games plötzlich echte Welten und es zeichnete sich ab, was mit dem Aufschwung der technischen, grafischen und Animations-Möglichkeiten passieren würde. Gerade für das Thema Filme, das meine Eltern stets als die größte Kunstform ihrer Generation betrachteten, funktionierte das sogar in beide Richtungen. Es gab Videospiele, wie man die Games damals noch nannte, die zu erfolgreichen Filmen wurden, wie etwa Tomb Raider oder Resident Evil. Genauso wie große Filmerfolge nochmals zum Nachspielen aus den Kinosälen der Lichtspielhäuser auf die Konsolen der Jugendzimmer kamen.

 

The Last of Us – Es begann 2013

Bilder sagen mehr als Worte, heißt es. Ich merkte schnell, wie wahr diese vermeintliche Volksweisheit ist. Als ich mit 14 Jahren begann, als Model zu arbeiten, lernte ich, wie man nahezu jedes Produkt mit einem schönen Bild so in Szene setzen konnte, dass jeder es haben wollte. Selbst Dinge, die niemand brauchte. Nachrichten funktionierten nach demselben Muster: Visuelle Reizverstärkung. Man kann ganze Bücher darüber schreiben, wie niedlich kleine Kätzchen sind – aber es reichen nur 30 Sekunden YouTube-Videos, in denen Babykatzen ihren eigenen Schwanz jagen, um es zu spüren. Genau dieses Phänomen leitete den ungebrochenen Triumphzug der filmartig angelegten Games ein. Wer hat noch nie bei einem spannenden Film gerufen „Nein, geh da nicht rein!“ oder „Oh Gott, nimm den anderen! Der betrügt Dich“? Der Impuls, in eine darstellerisch in Szene gesetzte Handlung einzugreifen, ist so alt wie die Filmindustrie selber. Vermutlich sogar älter, denn dasselbe Phänomen gab es in der prä-cineastischen Zeit der Theater sicher auch schon. Dieser Wunsch, den Protagonisten bei der Erfüllung seiner Träume zu unterstützen, ihn zu einem Happy End zu führen, ist allgegenwärtig und wird heute durch Action- und Survival-Spiele in Perfektion erfüllt. Zu einem dieser Spiele, die weltweit für besondere Aufmerksamkeit sorgten und eine ganze Gamer-Generation prägten, wurde vor sieben Jahren The Last of Us.

Das lag in erster Linie an der Hauptdarstellerin. Ellie, eine 14-jährige, ganz normale Teenagerin. Sie trug Band-Shirts und hatte die Wände ihres Zimmers mit Film-Plakaten vollgehangen. Viele weitere popkulturelle Referenzen lassen erahnen, wie ihr Leben hätte sein können, wäre sie nicht als Waise in einer Militärschule aufgewachsen und dann in die brutale Realität einer Welt mit Quarantäne-Zonen und der ursprünglichsten aller Philosophien geschleudert worden: Survival of the Fittest. Samstagabende mit warmem Kakao, den Eltern und einem guten Film gab es für Ellie nie. Aber das ist nicht der einzige große Unterschied zwischen ihr und mir.


Generation Lara Croft

An starken Frauen mangelte es in der Gamer-Welt schon vor Ellie nicht. Spätestens seit Lara Croft bleibt für Frauen nicht mehr nur die Nebenrolle als Side-Kicks des männlichen Superhelden. Und doch revolutionierte Ellie im ersten Teil von The Last of Us das Frauenbild nochmals nachhaltig. Wie sie, fast noch ein Kind, in einer dystopischen Zukunft über Nacht erwachsen werden muss, stellte einen völlig neuen und gleichsam sehr modernen Frauentyp in den Fokus der Gamer-Community und weit darüber hinaus. So ist es keine Überraschung, dass bereits an einer Serien-Adaption gearbeitet wird. Binge-Watchen mit Ellie. Ich bin sehr gespannt darauf. Und hungrig auf den Butterkuchen meiner Oma, wenn ich die Folgen gemeinsam mit meinen Eltern sehen werde.

The Last of Us ist sieben Jahre her, könnte aber – leider, möchte man fast sagen - kaum aktueller sein. In der dystopischen Atmosphäre eines Amerikas in naher Zukunft, die uns jedoch in Corona-Zeiten plötzlich realistischer vorkommt als je zuvor, kämpft Ellie um ihr Überleben während einer weltweiten Pandemie. Es existiert kein Impfstoff. Die verbliebenen Menschen radikalisieren sich, um ihr Überleben zu sichern. Ellie, die mit ihren 14 Jahren eigentlich eher mit ihren Freunden ins Kino gehen, Konzerte ihrer Lieblingsband besuchen oder High-School-Partys feiern sollte, sieht sich einem immer größer werdenden Sog aus Gewalt und einer Atmosphäre aus Furcht und Weltuntergangsstimmung ausgesetzt. Keine lauen Sommernächte mit Freunden am See, keine Klassenfahrten zu den wichtigsten Orten der Umgebung. Nur Überlebenskampf und viel zu viel Verantwortung für ein 14-jähriges Waisenkind.

Ellie bestreitet im ersten Teil von The Last of Us vermutlich das größte, aber auch gefährlichste Abenteuer, das man einer 14-Jährigen zumuten könnte: Ihre Reise durch Nordamerika, in der ihr vor allem der beinahe 50-jährige Einzelgänger Joel zur Seite steht. Joel hat im Verlaufe der Pandemie und der daraus resultierenden Überlebenskämpfe seine Familie und seine Freunde verloren. Er führt Ellie durch die pandemie-verwaisten Großstädte Amerikas, die langsam von der Wucht der zurückkehrenden Naturgewalten zu zugewucherten Geisterstädten geworden sind. Dabei sieht er Ellie zunächst wie einen Job. Normalerweise schmuggelt er hauptsächlich Waren oder Waffen. Warum nicht auch Menschen? Er eskortiert Ellie auftragsgemäß quer durch die Quarantänezonen zu den Fireflies. Die Gruppe von Widerstandskämpfern hegt die Hoffnung, mit Hilfe der immunen Ellie ein Antiserum und damit eine medizinische Waffe gegen die Pilzinfektion entwickeln zu können. Sie unbeschadet zu übergeben, darin besteht Joels Aufgabe. Dafür wurde er engagiert.

Als er jedoch nach vielen gemeinsamen Erlebnissen und Kämpfen beginnt, echte Verantwortung für Ellie zu spüren, entscheidet er sich, sie nicht auszuliefern und damit ihrem Schicksal als einziger bekannter immuner Mensch zu überlassen. Die Maßnahmen und Eingriffe, die notwendig sind, um eventuell einen Impfstoff zu extrahieren, würden zwangsläufig Ellies Tod bedeuten. Die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg wiederum ist nur sehr gering. In letzter Konsequenz stellt Joel Ellies Leben über diese medizinisch betrachtet nur sehr theoretische Chance. Also behält er das junge Mädchen stattdessen bei sich und beschützt sie. Im Verlaufe der intensiven gemeinsamen Zeit entwickelt Joel sich zu einer Art Vaterersatz für Ellie, die ihre richtigen Eltern nie kennen gelernt hat, und rettet ihr letztendlich sogar das Leben. An Joels Seite gelingt es Ellie somit, die beinahe unmenschlichen Herausforderungen dieser brutalen Realität zu bestehen.

Als Ellies Abenteuer jetzt, sieben Jahre später, im lange erwarteten zweiten Teil von The Last of Us, endlich weitergeht, ist Ellie zu einer jungen Frau geworden, der erneut eine existenzielle Reise bevorsteht. Eine Reise durch Nordamerika, aber auch durch die Abgründe des eigenen Charakters in einer Welt, in der Gewalt und Selbsterhaltung die Hoffnung auf eine Gesellschaft, in der zumindest noch die Grundsätze von Recht und Ordnung existieren würden, schon längst verdrängt haben. Ellie ist jetzt 19 Jahre alt. Eine junge Frau, die sich stets ihre Bescheidenheit bewahrt hat, genau wie ihre zuweilen tiefsinnige Ironie und Selbstreflexion. Ein frecher Spruch, eine sarkastische Bemerkung – all das gehört zu ihrem Wesen, dessen Vielschichtigkeit mit dem Erwachsenwerden noch ausgeprägter in Erscheinung tritt. Ironie als Schutzschirm vor der grausamen Welt vor der eigenen Haustür. Die traurigsten Menschen sind oft die lustigsten, sagt man über Schriftsteller. Und auch, wenn ich Ellie trotz ihrer nicht einfachen Kindheit keine pathologische Traurigkeit unterstellen würde: In Teilen gilt das sicher auch für die Menschen, denen außergewöhnliche Schicksale begegnet sind. Autoren einer einmaligen Geschichte. Ihrer eigenen. So wie Ellie.

 


Coming Of Age – Ellie ist kein Kind mehr

In The Last of Us Part II beginnt die Handlung vier Jahre nach dem Finale des ersten Teils. Vier Jahre, in denen Ellie das Erlebte Revue passieren lassen konnte, jedoch nie komplett verarbeiten. Ihre Empathie, ihren natürlichen Drang, anderen zu helfen und ihren Sinn für Gerechtigkeit hat sie sich bewahrt. Und doch entwickelt Ellie als 19-Jährige noch sehr viel mehr Facetten. Sie wird zu einem anderen Menschen, als sie es als 14-Jährige gewesen ist. Die Jahre zwischen dem 14. und dem 18. Geburtstag sind ja für junge Menschen bereits extrem prägend, wenn sie „nur“ behütet zur Schule gehen, ihre ersten Erfahrungen in der Liebe machen oder lernen müssen, mit dem Erfolgsdruck auf gute Noten umzugehen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, um wie viel schwerer es eine 14-Jährigen mit den Erfahrungen von Ellie haben muss – in einer Welt wie ihrer.

Eine der spannendsten Fragen während des langen Wartens auf The Last of Us Part II, auf das weltweit hingefiebert wurde, lautet also: Wer ist Ellie heute? Was haben die Erlebnisse aus ihr gemacht? Was ist von der 14-Jährigen geblieben, mit der sich alle so hingebungsvoll identifizieren konnten? Schnell wird klar, dass Ellies Handeln und ihre Welt in The Last of Us Part II politischer werden. Nicht in erster Linie in ihren Aussagen, sondern vor allem in ihrem Verhalten, ihren Beobachtungen in der Welt, in der sie sich bewegt. Ellie bleibt ein Mensch, der bereit ist, alles zu opfern, um für sich und seine engsten Mitstreiter einzustehen, Verantwortung zu übernehmen, sich von Rückschlägen nicht einschüchtern zu lassen und allen zu helfen, so gut sie es eben kann. Es geht ihr nie um persönliche Bereicherung. Weder materielle noch in Form von Ruhm oder Dankbarkeit. Würde man sie in Ruhe leben lassen, in einer normalen Welt, wäre sie vermutlich eine Kandidatin für ein unspektakuläres Leben im Kreise ihrer Freunde – ohne jedweden Drang zum großen Abenteuer. Alleine, dafür hat das Schicksal sie nicht vorgesehen.

Als junge Erwachsene repräsentiert Ellie, als das Spiel so langsam Fahrt aufnimmt, inzwischen das Bild einer aufgeklärten, liberalen Persönlichkeit, für die Menschlichkeit die erste Prämisse ist. Insbesondere in der ersten Hälfte des Spielverlaufs wird immer wieder deutlich, wie ausgerechnet in dieser zerrissenen, zerstörten, gewaltbereiten Gesellschaft einige Grundpfeiler der Gleichheit nicht diskutierbare Werte für Ellie darstellen. Ellie, als die unumstrittene Hauptdarstellerin in der Welt von The Last of Us Part II, umgibt sich mit Freunden, die aus allen Teilen der Welt abzustammen scheinen. Ellies Welt, das Nordamerika in einer Zukunft der Unsicherheit und einer zerfallenen Gesellschaft, besteht aus Menschen aller Rassen, deren optische Unterschiede klar erkennbar sind, aber nie thematisiert werden. Eigentlich so, wie es in einer perfekten Welt sein sollte. Vielleicht einer der interessantesten Aspekte der Interpretation des Weges, den Ellie gehen muss: Bedarf es erst einer das Leben aller Menschen bedrohenden Katastrophe, damit wir lernen, dass Herkunft, Rasse, Aussehen oder Religion keinerlei Rolle spielen sollten?

Sexuelle Orientierung übrigens auch nicht, das wird schon in den Anfangs-Sequenzen des Lebens der nun 19-Jährigen Ellie schnell deutlich. Ellie küsst eine andere Frau und lebt diese zarte erste Liebe auch öffentlich aus. Die Küsse zwischen Ellie und ihrer Freundin Dina finden nicht im Geheimen statt, in dunklen Ecken oder hinter verschlossenen Türen. Ellie küsst Dina auch in der Mitte der Tanzfläche während eines großen Volksfestes unter den Augen aller anderen Gäste. Ellie wirkte schon immer aufgeklärt, erwachsen und neugierig – und das gilt auch für ihre Entwicklung vom Kind zu einer beziehungsfähigen Frau. Und sogar noch dann, wenn sich im Fortlauf ihrer Reise ihre eigenen Werte kolossal verschieben.

Der Hass der anderen

+++ ACHTUNG - SPOILER: Wenn Ihr das Spiel selber noch spielen und noch keine Details zu Ellies Entwicklung in The Last of Us Part II wissen möchtet, müsst Ihr hier die Lektüre beenden. +++

Durch Beobachtungen wie diese wird dem Spieler und Zuschauer schnell klar, welche umfangreichen und signifikanten Entwicklungen ihrer Persönlichkeit Ellie durchlebt. Charaktereigenschaften, die mir persönlich besonders gut gefallen und die gleichzeitig ein wichtiges Signal darstellen an unsere echte Gesellschaft. Nicht als belehrendes Hauptelement einer Handlung, sondern als liebevoll und stringent auf natürliche Weise in die sich entwickelnde Biographie von Ellie eingeflochten. Die Gefühlswelt und die Werte von Ellie, abseits ihrer schon bekannten Eigenschaften, fließen langsam zu einem stimmigen Gesamtbild einer außergewöhnlichen jungen Frau zusammen. Eine Frau, deren Schicksal und deren einzigartige Herausforderungen sie hart und viel zu früh erwachsen haben werden lassen, aber nie gefühlskalt. Gleichwohl bleiben Teile dieser Werte nur bis zu einem bestimmten Erlebnis in der voranschreitenden Geschichte von The Last of Us Part II unberührt. Ellies Entwicklungslinie erfährt während ihrer Erlebnisse unverhofft einen ernsten und deutlich spürbaren Impuls, als Joel getötet wird. Der Mann, der für Ellie zu der Vaterfigur wurde, die sie nie hatte. Der Mann, der ihr im Finale des ersten Teils das Leben rettete. Der vermutlich wichtigste Mensch in ihrem Leben. Ein Wendepunkt für Ellie.

Ellies Wesen und ihre Persönlichkeit werden erneut einer kaum vorstellbaren Zerreißprobe gestellt. Der ad hoc-Impuls, den Tod eines geliebten Menschen, des Menschen sogar, der der Rolle eines Elternteils am nahesten kam, mit Vergeltung zu sühnen, ist vermutlich eine der natürlichsten Regungen des Menschen. Rache ist ein Verlangen, das selten von logischer Abgeklärtheit begleitet wird. Und doch ist es eine der ältesten Gefühlskonstrukte der Menschheit. Liebe, Hass, Rache. Selbst emotionslose, erfahrene Erwachsene können einen Verlust, wie ihn Ellie erleben muss, kaum ohne das Bedürfnis nach Rache durchleben. In einer Welt, in der Ellie aufwachsen muss, abseits einer normalen Zivilisation und in einem Alltag, in dem Menschen andere Menschen für ein einziges Abendessen töten würden, ist es umso wahrscheinlicher und auch verständlicher, dass Ellie diesem Drang nachgeben muss. Rache ist keine Mathematik. Rache ist die zwanghafte Abhängigkeit von der Idee, etwas durch Vergeltung ausgleichen zu können, für das es keinen Ausgleich gibt.

Ich möchte nicht zu viel über die tatsächlichen Geschehnisse und Aufgaben in The Last of Us Part II verraten, denn ich kann jedem nur empfehlen, das Abenteuer und das Erwachsenwerden von Ellie selber zu durchleben. Spoiler würde man es neudeutsch vermutlich nennen, gäbe ich hier nun weitere wichtige Details über die Aufgaben preis, denen Ellie sich stellen muss. Der Kampf, der sich gleichzeitig in ihr selber abspielt, ist dabei ständiger Begleiter der Kämpfe und Rätsel, die Ellie auf ihrem Weg durch die The Last of Us Part II-Welt bestehen muss. Er ist für mich beinahe noch beeindruckender zu verfolgen als ihr Pfad durch die zerrüttete Realität einer post-pandemischen Zukunftswelt. Nach all den Jahren der Suche nach sich selbst, dem Sinn hinter ihrer persönlichen Geschichte und den Geschehnissen auf der Welt, sieht sich Ellie viel zu jung mit der Erkenntnis konfrontiert, dass der Verlust eines Menschen nicht nur Schmerz, sondern auch das Bedürfnis nach Bestrafung mit sich bringt. 


Rache wird oft kalt serviert – aber nie rational

Als Kind bereits der Illusion beraubt, jemals ein normales Leben führen zu können, findet sie sich nunmehr in einer Situation wieder, in der die Hauptaufgabe nicht mehr nur das reine Überleben betrifft. Eine völlig neue Charakterebene bahnt sich auf einmal ihren Weg in Ellies Persönlichkeit. Rache wird kalt serviert, lautet ein oft bemühtes Zitat. Ellie erlebt diese Kälte in ihrer größtmöglichen Wucht. Plötzlich tötet sie nicht mehr nur noch in Notwehr. Nicht mehr nur, um nicht die zu sein, die auf der Strecke bleibt. Nicht mehr nur, um zu überleben. Sie findet sich wieder in einem unkontrollierbaren Strudel von Rachegelüsten, die einem feinfühligen und emphatischen jungen Menschen wie ihr selber Angst machen. Man spürt die Zweifel, die immer wieder in ihr lodern wie eine Flamme der Vernunft. Aber man verfolgt auch die Entschlossenheit, weiter den Schuldigen für Joels Tod suchen zu müssen. Diese Art von Gewissensbissen und innerem Kampf mit der eigenen Unsicherheit ist es, die ein besonderes Band zwischen Ellie und dem Spieler knüpft. Man ist sich bewusst, dass Rache keine Wunden heilen oder Menschen zurückbringen kann. Aber das ist die intellektuelle, quasi wissenschaftliche Betrachtung einer solchen Situation. In der Theorie stimmt sie immer. Indes Rationalität zu bewahren, wenn man tatsächlich mit einer Situation wie Ellies konfrontiert wird, ist schwer bis unmöglich. Das, was ihr Leben noch annährend normal hat wirken lassen, die bestmögliche Version eines Vaters, die sie erleben durfte, wird ihr brutal entrissen. Rationalität ist die Grundlage richtiger Entscheidungen. Sie muss aber nicht zwangsläufig auch die einzig denkbare Reaktions-Variante sein. Diese philosophische Frage, das Für und Wider von Rache, begleitet Ellie für den Rest ihrer Reise. Neil Druckmann, der Studio Director und Director des Spiels, beschreibt diese Entwicklung übrigens als ein Sinnbild für die philosophische Frage: Wie weit würdest du für einen Menschen gehen, den du liebst?

Also treibt man als Spieler mit Ellie einem vermeintlichen Showdown entgegen, einem Moment der Rache. Ellie wie auch dem Spieler ist klar: Ein Hollywood-Happy-End wird es nicht geben, egal wie es ausgeht. Die Zweifel bleiben, Rache hat aber die besseren Argumente. Es ist keine Reise mehr, bei der Ellie sich selber oder der Spieler seine Protagonistin auf dem einzig richtigen Pfad der Tugend sieht. Die Reise wird zur Charakterstudie einer jungen Frau, die abseits der traditionellen Parameter von Vernunft operieren muss, um ihrem eigenen Dasein insofern Berechtigung zu verleihen, als dass sie ihre Werte mit ihrem erlebten Schmerz in Einklang bringen muss.

Rache in einer Konstellation wie dieser ist vielleicht nur Liebe in einer kompromisslosen Form, die Loyalität vor Vernunft setzt. Von außen betrachtet kann ein solches Verhalten falsch wirken. Aber wem steht es tatsächlich zu, hier ein Urteil von Allgemeingültigkeit zu fällen? Ellie selbst verzeiht sich nicht, diesem Antrieb nicht nachzugeben. Sie wird nicht einfach nur von der leidgeprüften jugendlichen Sympathieträgerin zu einer eiskalten Kampfmaschine mit Mordgelüsten. Weder mutiert sie zu einem gefühlskalten Roboter, noch kann sie ihre Überzeugungen ganz über Bord werfen. Sie fühlt weniger eine Rache-Lust als eine Rache-Verpflichtung. Die Aufgabe, das Leben von Joel zu ehren, indem sie seinen Tod rächen wird. Sie spürt, dass sie dieser Weg nicht frei machen und wahrscheinlich für immer verfolgen wird – aber sie geht ihn dennoch weiter. Wohin er sie führen wird, so viel kann ich verraten, ist sehr viel mehr als nur die Antwort auf die Frage, ob sie am Ende Gelegenheit zur Rache erhält. Es ist ein Abenteuer, das neben beeindruckenden Spielwelten, erstaunlichen Details und innovativen Kampf- und Kombinationsaufgaben vor allem auch eine lange, sehr offene Fahrt hinaus auf einen Ozean der Selbstfindung bereithält. Dieses Abenteuer solltet Ihr euch nicht entgehen lassen!


 - Text ist in Kooperation mit Sony PlayStation entstanden –

 Mehr Infos zu The Last of Us Part II: https://www.playstation.com/de-de/games/the-last-of-us-part-ii-ps4

 The Last of Us Part II: könnt Ihr hier direkt spielen: https://store.playstation.com/de-de/product/EP9000-CUSA10249_00-THELASTOFUSPART2

 

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