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Es ist fast ein wenig herbstromantisch im Oktober in Rheinhessen. Die Sonne bahnt sich unbeeindruckt immer wieder ihren Weg durch die Wolkendecken und hüllt die Weinberge zwischen Mainz, Bingen und Worms in eine Art goldene Vorahnung darauf, was wir später als Ergebnis der für diese Region charakteristischen Weinlese aus wunderschönen, bauchigen Gläsern genießen werden. Weinbau prägt in Rheinhessen schon seit mehr als 2000 Jahren das Bild. Kilometerweit reihen sich Hänge mit Weinstöcken aneinander. Vinotheken und Weinstuben, zumeist mit Weinen aus eigenem Anbau, finden sich buchstäblich an jeder Ecke. Die Lust auf ein Glas guten Weines ist spürbar und haucht selbst kleineren Orten wie Stadecken-Elsheim oder Dittelsheim-Heßloch eine beinahe mediterrane Atmosphäre ein. Die Lebensfreude ist spürbar. Für mich als Hamburgerin ist Rheinhessen ganz nah an Italien. Nicht nur von der Entfernung, sondern vor allem vom Lebensgefühl. Dolce Vita in Deutschland.
Rheinhessen – das größte Weinbaugebiet Deutschlands
Rheinhessen ist seit mehr als 2.000 Jahren vor allem für ein bestimmtes Handwerk bekannt, das inzwischen etwa 250 Millionen Liter Wein pro Jahr erzeugt. Mit Riesling, Müller-Thurgau, Grauer Burgunder, Silvaner, Dornfelder, Spätburgunder vor allem Rebsorten, die als besonders prominent und beliebt gelten. Wer auf eine so lange Erfahrung und ein so reichhaltiges Portfolio zurückgreifen kann, blickt selbstverständlich auf eine mannigfaltig mit Traditionen gespickte Geschichte zurück.
Tradition verpflichtet, Tradition motiviert, Tradition ist Zeugnis dafür, wie viel Expertise man hat und wie gut man sein Handwerk versteht. Tradition bedeutet in vielen Branchen aber auch: Das Etablieren von Innovation, von neuen Ideen, von zukunftsweisenden Veränderungen, verbunden mit der gleichzeitigen Abkehr von einigem Altbewährtem ist oft nicht einfach. Das Vorhaben, neue Wege zu ebnen, läuft vielerorts und in vielen Branchen schleppend, gegen immensen Widerstand oder wird gänzlich unterdrückt.
Nicht so in Deutschlands größter Weinregion Rheinhessen. Ich hatte das Glück, im Oktober vergangenen Jahres einige Winzerfamilien kennenzulernen, deren Mut für fortschrittliche Neuerungen beispielhaft und inspirierend ist. Ausgerechnet in einer so alten Kulturform wie dem Weinanbau liegt enormes Potenzial für Weiterentwicklung und Neubelebung. Das Beste, signifikanteste und womöglich auch wichtigste Beispiel dafür ist das in diesen Zeiten inzwischen überall groß geschriebene Thema Nachhaltigkeit. Das war eine der zentralen Fragen, die mich bei meinem Besuch interessiert haben: Wie sieht es aus mit der Nachhaltigkeit in Rheinhessen im Weinbau?
Wein und Nachhaltigkeit in Rheinhessen
Rheinhessen bietet nahezu perfekte Voraussetzungen für den Öko-Weinanbau. Knapp 2.000 Sonnenstunden pro Jahr und nur 500 mm Niederschlag. Ein Trockengebiet. Aber dadurch auch eine Region, die besonders darauf angewiesen ist, dass sich das Klima nicht zu schnell zu signifikant ändert und dass Boden und Terroir lebendig, intakt, dynamisch und vital bleiben. Terroir, das meint die Gesamtheit der Umwelteinflüsse, die den Wein zu dem machen, was er ist, also zum Beispiel Klima oder Lage. Nachhaltigkeit ist also großes Thema unter den Winzern und Winzerinnen in Rheinhessen, die für mich überraschend offensiv und innovativ mit den heutigen Umständen umgehen.
Bevor ich die Winzerinnen und Winzer sowie das Team von Rheinhessenwein e.V. getroffen, viele Gespräche geführt und einige Betriebe persönlich besucht habe, wusste ich nicht viel darüber, was beim Weinanbau alles von Relevanz ist. Etwas vereinfacht gesagt, dachte ich, man baut Trauben an, die presst man aus, wenn sie reif sind, lässt sie gären und zack: Man hat einen wohlschmeckenden Wein. Ganz so einfach ist es allerdings nicht.
Weinbau ist eine besondere Kultur. Und sie ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die man als Winzer oder Winzerin oftmals gar nicht oder nur sehr bedingt beeinflussen kann. Zum Beispiel Wetter, Temperaturen, Regenmenge, Pilz- oder Schädlingsbefall. Wenn also jede Saison zunächst mal ein Kampf um eine ausreichend große und vor allem qualitativ gute Ernte ist, bleibt für den Gedanken, sich nachhaltiger aufzustellen, doch sicher nur wenig Zeit – könnte man denken. Sich mit Themen auseinander zu setzen, die eher einen globalen Effekt haben und sich zumeist nicht direkt und vor allem nicht sofort positiv auf die eigene Produktion auswirken, stehen nicht so im Fokus – auch das könnte man denken.
Meine Tage in Rheinhessen haben gezeigt: Das Gegenteil ist zutreffend. Ich habe viele unterschiedliche Winzer, Winzerinnen und Betriebe erlebt. Große, kleinere. Sehr ursprüngliche und hochmoderne. Aber so unterschiedlich die Philosophien mitunter auch waren, mindestens in einer Sache waren sie alle überraschend weit und fortschrittlich: Nachhaltigkeit ist ein mega Thema. Dauernd habe ich mich sogar dabei erwischt, wie ich dachte: „Wow, cool! Hätte ich nicht gedacht!“
Da sind ja Schafe in meinem Wein!
Die Winzerfamilien haben schon heute facettenreiche Ideen entwickelt und umgesetzt, die direkt einen positiven Einfluss auf das haben, was der Kern von Nachhaltigkeit bedeutet. Diese Impulse kommen zumeist von der jüngeren Generation, stoßen aber bei den Älteren keinesfalls auf taube Ohren. Im Gegenteil.
In den Weinbergen vom Weingut Jean Buscher beispielsweise tummelt sich eine stattliche Herde von Minischafen, die ihr Leben in der Natur genießen und gleichzeitig an vielen Stellen für ein natürliches Gleichgewicht sorgen, ohne Einsatz von Herbiziden oder Maschinen. Jean Raphael Buscher, der Juniorchef, nennt die Schafherde „unsere lebenden Rasenmäher“.
Weingut Jean Buscher, https://www.instagram.com/weingut_jean_buscher/ |
Beim Weingut Braunewell in Essenheim stehen vor allem Maßnahmen zur Rückkehr und zum Schutz von Tier- und Pflanzenarten im Fokus. Inzwischen findet man auf ihren Weinbergen in regelmäßigen Abständen große Hecken für Insekten und Kleintiere, die für kleine Mauereidechsen oder Kröten oft wie Biotope wirken. Dazu auch große, von Rebstöcken umgebene Freiflächen, um etwa Rehen eine Ausruh- und Schutzzone zu geben. Als wir durch die Rebzeilen laufen, hören wir einige Fasane rufen. Wie viele andere Winzer in Rheinhessen ebenfalls, hat man sich mit „FAIR N´GREEN“ aktiv für ein Nachhaltigkeits-Siegel entschieden. Eine Organisation, die hinsichtlich ihrer Anforderungen mehr abverlangt als einen Mitgliedbeitrag und das Ausfüllen einiger Fragebögen. Es gilt, hohe Mindestanforderungen zu erfüllen und sich in den Bereichen Betriebsführung, Umweltschutz und gesellschaftliches Engagement stetig weiterzubilden und zu entwickeln. Eine große Herausforderung, die dem Familienbetrieb aber am Herzen liegt.
Weingut Braunewell, https://www.instagram.com/braunewell1655/ |
Weinanbau kann Klimaschutz sein
Bei Bianka und Daniel Schmitt vom gleichnamigen Weingut fegt der fünfjährige Stammhalter mit uns durch die Weinberge. Auch hier hat eine nachhaltige Bewirtschaftungsphilosophie Einzug gehalten. Zwischen den Rebzeilen stehen Insektenhotels. Der Boden sieht wild aus. Liebhaber von englischem Rasen würden ihn womöglich als ungepflegt bezeichnen. Aber er ist nicht ungepflegt, er ist ein Paradies der Biodiversität. Er erzeugt eine Oase der Artenvielfalt und hilft auch langfristig dabei, viele heimische Arten der Flora und Fauna zu schützen. Auch wird durch die Begrünung reichlich organische Masse und damit Humus geschaffen. Dadurch steigt nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, sondern wird insbesondere auch CO2 aus der Atmosphäre gebunden. Und wir alle wissen, zu viel CO2 führt zur zunehmenden Erderwärmung und Treibhauseffekt. Ein Beitrag, den die Weingüter aus Rheinhessen für einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen leisten.
Weingut Bianka und Daniel Schmitt, https://www.instagram.com/biankaunddaniel |
Betrachtet man diese Entwicklung, ist die Weinregion Rheinhessen ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man ein hochwertiges Genussprodukt mit Klima-, Natur- und Landschaftsschutz verbinden kann. Das Beste aus beiden Welten: Genuss und Verantwortung. So ist es beinahe logisch, dass in vielen Betrieben die Nutzung von Photovoltaik, Regenwasser, Pellets, Trester oder Erdwärme zur Energieerzeugung bereits zum Alltag gehört.
Der Erfolg der Weine aus Rheinhessen hat darüber hinaus auch Gründe, die in der konsequent durchdachten Vermarktung liegen. Immer besser gelingt es den Winzerinnen und Winzern, ihre Weine und Sekte interessant und aufmerksamkeitsstark zu präsentieren. Aus der Tradition der Betriebe lassen sich schöne Geschichten ableiten – im Zeitalter des Storytellings ein angenehmer Vorteil für die Weine aus Rheinhessen. Wie sich eine Weinmarke im großen Spiel der Weinerzeuger aus der ganzen Welt positionieren kann, zeigt zum Beispiel das Weingut Sander sehr plakativ. Ihr charakteristisches, inoffizielles Wappentier, der Marienkäfer, ziert alle Etiketten ihrer Weine. Über die Jahre wurde der Sandersche Marienkäfer so zu einem Sinnbild für guten Wein. Wie das Instagram-Logo für Digital Natives ist er Weinkennern weit über die Grenzen von Rheinhessen hinaus ein Begriff.
Weingut Sander, https://www.instagram.com/sander_weine/ |
Zusammenhalt als Markenkern
Auch wenn die Rebstöcke, deren Trauben und Boden die zentrale und wichtigsten Ressource für erfolgreichen Weinanbau sind, erschöpft sich das Engagement der rheinhessischer Weingüter nicht auf ihre Weinberge. So haben zum Beispiel die vereinigten Weingüter Kühling-Gillot und Battenfeld Spanier in Hohen-Sülzen einen zukunftsweisenden, hochmodernen Weinkeller gebaut, der unter anderem hocheffizient und ressourcensparend eine neue Benchmark setzt. Der familiäre Zusammenhalt im oftmals hektischen Alltagsbetrieb wird – wie bei vielen anderen Winzern auch – unter anderem dadurch manifestiert, dass regelmäßig für die gesamte Belegschaft gekocht und dann gemeinsam gegessen wird. Vom Azubi bis zu Chef und Chefin sitzen alle am selben Tisch und tauschen sich über ihren Tag aus. Gerade in diesen Tagen im Oktober, der Hochzeit der Ernte, eine Tradition, die das gesamte Team festigt und zusammenschweißt.
Weingut BattenfeldSpanier und Kühling-Gillot, https://www.instagram.com/kuehlingandbattenfeld/ |
Es verwundert daher nicht, dass die vielen weinerzeugenden Betriebe in Rheinhessen nicht nur zu den wichtigsten Arbeitgebern zählen, sondern auch zu den beliebtesten. Dieser Zusammenhalt zeigt sich in Rheinhessen auch betriebsübergreifend. Obwohl man letztendlich in einer Konkurrenzsituation steht, ist der freundschaftliche Austausch unter den Betrieben allgegenwärtig. Man kennt, schätzt und hilft sich. Und das auch über die Grenzen von Rheinhessen hinaus. Als im Juli das Ahrtal von der verheerenden Flutkatastrophe heimgesucht wurde, hinterließen die Wasser- und Schlammmassen auch bei den Reben in Flussnähe und auf den Weingütern entlang des Flusses Zerstörungen bislang ungekannten Ausmaßes. Das Wasser ging und hinterließ eine dystopische Landschaft. Umgehend und unbürokratisch kam Hilfe aus Rheinhessen. Von Spendenaktionen und Charity-Auktionen bis zu privatem Engagement zeigte sich wie selbstverständlich breite Solidarität. Wein kann eben doch so viel mehr sein als ein schönes Glas Entspannung am Abend.
Fazit
Ich habe gelernt: Neben dem hohen Anspruch daran, im Angesicht der Herausforderungen hinsichtlich des Klimawandels so verantwortungsvoll wie möglich zu operieren, spielen die Winzerinnen und Winzer aus Rheinhessen einen aktiven Part in der weltweiten Nachhaltigkeits-Bewegung. Weine aus dieser Region konnten sich in der Top-Gastronomie etablieren. Inzwischen sogar im Wein-Mutterland Frankreich, in dem Weine aus Deutschland lange Zeit eher verpönt wurden. Eine Erfolgsgeschichte aus Innovation und Tradition.
Auch deswegen würde ich, ohne mit der berühmten Wimper zu zucken, folgendes Fazit ziehen: Wenn sich alle Branchen so intensiv und scheuklappenfrei um die regelmäßige Entwicklung und Implementierung neuer, nachhaltiger Ideen sorgen würden, hätten wir auf der Welt eine deutlich geringere Brisanz beim Thema Klimawandel. Dass dabei ein so exzellentes Produkt herauskommt, ist aus meiner Sicht kein Zufall. In Rheinhessen passt einfach alles: Lage, Klima, Engagement, Innovationsbereitschaft, Zusammenhalt und Erfahrung. Rheinhessen ist immer eine Reise wert – selbst, wenn sie zunächst mit einem wohlschmeckenden Tropfen in den eigenen vier Wänden beginnt: Einen Hauch der zukunftsweisenden Philosophie der Winzer und Winzerinnen aus Rheinhessen kann man buchstäblich herausschmecken. À votre santé!
Dieser Beitrag wurde mit Unterstützung von Rheinhessenwein e.V. erstellt.