NO GRETA LOVE - Warum sich plötzlich jeder an Greta Thunberg abarbeitet, anstatt an den wirklichen Problemen unserer Welt

Donnerstag, Dezember 05, 2019



Es wird viel diskutiert aktuell. Und diskreditiert. Die Vokabeln ähneln sich, das eine ist jedoch Kultur, das andere Methodik. Das eine ist gut, das andere nicht so - aber alles vermischt sich, und das ist eben ein bisschen das Blöde an unserer schönen neuen Social Media Welt: Jeder darf seine Meinung sichtbar machen. Zu Greta etwa und zu ihrer Botschaft: Klimakatastrophe verhindern. Dabei klingt das doch erstmal gut, oder?

Wahrscheinlich. Diskutiert wird aber nicht über Lösungen, sondern was Greta alles falsch macht. Und sowieso: Alles Hysterie! Da fahre ich, so liest man es allenthalben von Facebook-Berufskommentatoren, doch gleich mal mit meinem 680 PS starken Diesel-SUV fünf Extra-Runden um den Discounter, wo ich mir dann triumphierend Schweinesteaks für 49 Cent kaufe. Weil ich es kann. Das hat sie davon, die blöde Greta. Was geht sie uns auch so auf die Nerven? Was Greta fordert, da ist man sich unter Millionen neuen Klimaexperten einig, ist unsinnig, überzogen und hilft nicht.

Greta-Bashing-Bingo

Klar, für Lösungen der Klima-Problematik wären eigentlich Politiker verantwortlich - oder wenigstens Christian Lindner. Aber das spielt im Greta-Bashing-Bingo keine Rolle. Als ob es für „alte weiße Männer“ nicht schon stressig genug wäre, dass sich im Zuge der #MeToo-Debatte nun Generationen von Netzfeministinnen in zumeist recht mühsam zu lesenden Artikeln und Büchern an ihnen abarbeiten. Da setzt sich dann auch noch eine minderjährige Schülerin anstatt ins Klassenzimmer vor das schwedische Parlament und streikt für die Einhaltung der Klima-Abkommen. Das geht natürlich zu weit.

Schon heute jedoch hat Greta Thunberg mehr für das Bewusstsein für den Klimawandel getan, als alle Politiker zusammen. Dabei ist erst knapp ein Jahr vergangen, seit sie Fridays for Future erfand – ganz alleine mit einem „Skolstrejk för klimatet“ Schild und ihrer Überzeugung, etwas tun zu müssen.

Morgen Greta kein Hahn mehr nach!

Greta ist das Gesicht des Aufwachens. Aber auch eine Gefahr für das Establishment. Ihr Satz „Change is coming, whether you like it or not“ macht den meisten Menschen auf der Welt Hoffnung. Politikern und Vertretern der Abteilung „wird schon nicht so schlimm werden“ dagegen eher: Angst. Aber Angst --- ist nie ein guter Ratgeber.

Regierungen haben Greta erst dramatisch unterschätzt und dann ihre letzte Patrone in die Trommel des Revolvers der Machterhaltung geschoben: Diskreditierung. Von einer 16-Jährigen lässt man sich doch nicht erklären, dass man die letzten 30 Jahre klimapolitisch geschlafen hat. So schießen sie jetzt also aus allen Rohren. Von Christian Lindner, der zum Beispiel sagte wir bräuchten eher Mondays for Economy anstatt Fridays for Future. Bis zu Wahrheitsfinder und Klimawissenschaftler Dieter Nuhr, der widerum sagte, Gretas Forderungen würden wahrscheinlich zu einem dritten Weltkrieg führen. Gut, Lindner ist fein raus. Schwarzweiß-Fotos im Unterhemd sehen natürlich auch mit Schutzmaske noch recht gut aus.

Nuhr dagegen hantiert zur Untermauerung seiner Thesen mit derart falsch und absurd zurechtinterpretierten Fakten, dass Mario Barth gegen ihn wie ein Nobelpreisträger wirkt. Man dürfe über Greta keine Witze machen, das wäre von den Medien nicht gewünscht, whistleblowed der selbsternannte Kämpfer gegen Diskussionsverbote. Gleichzeitig macht Nuhr im Abendprogramm der ARD: Genau, - Witze über Greta. Schmerzhaft schlechte noch dazu. Der Fachbegriff für diesen Move, den selbst der zweitgrößte Kämpfer gegen die Systempresse nach Nuhr, Donald Trump, nicht besser hinbekommen hätte, lautet übrigens „Schrödingers Witzeverbot“.

Die Zeit politischer Ablenkungsmanöver ist vorbei

Aber mal im Ernst: Was ist in die Menschheit gefahren, eine 16-jährige als „Behinderte“ zu bezeichnen und ihr Vergewaltigungen oder sogar den Tod zu wünschen? Betrachtet man etwa mal exemplarisch die Facebook-Gruppe „Fridays for Hubraum“, werden zwei Dinge relativ schnell klar. Zum einen, dass geistiger Hubraum nicht gemeint sein kann. Und zum anderen, dass es für Hetze, Drohungen und Beleidigungen aus der ganz untersten Schublade im Hinblick auf Greta offensichtlich keine Grenzen gibt.

Lindner z.b findet Greta nett, aber Klimapolitik sollten dann doch lieber Experten machen. Also vermutlich genau die Experten, die uns durch 30 Jahre Tatenlosigkeit überhaupt erst an diesen Punkt gebracht haben. Dieses durchaus durchschaubare Ablenkungsmanöver wird womöglich als das größte Versagen der Politiker des 21. Jahrhunderts in die Geschichtsbücher eingehen. Ich bin jedenfalls sicher: In 300 Jahren wird jeder Mensch Greta Thunberg kennen, aber niemand Christian Lindner - oder Dieter Nuhr.

Selbst Menschen, die mit Greta Thunberg nichts anfangen können, dürfte eins klar sein: Greta ist nicht das Problem. Es sind Massentierhaltung, Raubbau an der Natur oder rücksichtsloser Billig-Konsum. Vielleicht wäre es angebracht, die Menschen würden sich mit derselben Inbrunst, Ausdauer, Energie, Angst und Wut, mit der sie sich Greta widmen, um Änderungen in der Politik bemühen. Insofern hat Greta uns alle aufgeweckt. Wirklich alle. Sogar die, die am liebsten weitergeschlafen hätten. 

Das könnte Dir auch gefallen

-->